Sie wurde von den Brüdern zu Beginn des 14. Jahrhunderts erbaut um die zahlreichen Pilger aufzunehmen, die hier hinaufgestiegen waren aus Verehrung für die Verkündigung Mariens und für Franziskus. Erbaut nach dem Modell der Porziuncola, die „Mutterkirche“ der franziskanischen Kirchen, aber geräumiger und lichterfüllter, ist sie „Schwesterkirche“ für alle anderen Kirchen unserer alten Klöster mit derselben Bezeichnung: L’Annunziata von Amelia, wo ich das franziskanische Ordenskleid angezogen und das einjährige Noviziat abgeleistet habe; l’Annunziata von den Orten Bevagna, Gualdo, Tadino, Norcia und Scarzuola. Mit dem Ruf und der Ankunft am Kloster dell‘ Annunziata in Rom schloss sich der Kreis: Bei der Annunziata von Amelia sprach ich im Alter von 16 Jahren mein erstes JA, bei der Annunziata von Rom mein endgültiges JA. Nach dem Vorbild von Maria vollzog sich mein Leben unter dem Zeichen des JA, ein freudiges, überzeugtes und entschlossenes JA, das ich nie bereut habe und das ich jeden Tag erneuere. Ungeachtet meiner Grenzen, meiner Mängel und Fehler. Die Kirche der Verkündigung auf der Romita ist von extremer Schlichtheit, mit einem großen Sinn für Proportionen. Es ist eine Ehre und ein Vergnügen unsere Lieder an diesem wunderbaren Ort mit perfekter Akustik wiedererklingen zu lassen. Bei unserer Restaurierungsarbeit haben wir den Putz entfernt, damit sich die ursprüngliche Form und Farbe der bearbeiteten Steine absetzt. Wir haben den Altar mit Steinen aus der Römerzeit, die zwischen der Kapelle und der Kirche verstreut lagen, wieder errichtet und das Chorgestühl aus Ulmenholz neu gebaut. Bei Sonnenaufgang wird die Kirche durch ein farbiges Glasfenster erleuchtet, das den Sonnengesang darstellt. Dieser aufnehmende und andachtsvolle Ort ist das Zentrum des Lebens auf der Romita: Hier schöpfen wir Tag für Tag Licht, Kraft und Mut: In der Stille, im Hören auf das Wort Gottes und im Gesang der Psalmen.
„L’Annunziata“(= Beinamen Marias: der die Verkündigung (=Annunciazione) des Erzengels widerfuhr; im Deutschen gibt es keine Entsprechung) bleibt uns von der Erzählung, die der Evangelist Lukas von der Verkündigung überliefert (Lk 1,26-38), eine Stelle voller Faszination, Schönheit und Poesie. Es ist der freudige Beginn des Heils, das durch Christus gebracht wird. Eine Erzählung, die meinen Glauben genährt hat („Wie soll das geschehen? – Für Gott ist nichts unmöglich Lk 1, 34-37) und die Wahl meines Lebensweges entschieden hat (Siehe, ich bin die Magd des Herrn Lk 1, 38). Die Verbindung, die sich im Alter von 11 Jahren vor der Statue der Madonna von Fatima bei San Girolamo in Gubbio aufgebaut (etabliert) hat, ist den Rest meines Lebens geblieben.
Außer dem Magnifikat, das jeden Tag bei der Vesper gesungen wird, gibt es drei Stellen im Evangelium, über die ich immer wieder nachgedacht und reflektiert habe: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war und bewegte diese Worte in ihrem Herzen“ (Lk 2,19). Bei der Hochzeit zu Kana, zu Beginn des öffentlichen Auftretens von Jesus, spricht die Mutter zu den Dienern: „Tut, was er euch sagt“ (Joh 2,5). Dies sind die letzten Worte Marias, von denen die Evangelien berichten. Sie konnte uns keinen kostbareren Rat geben. Maria, die Mutter Jesu, hatte (spielte) in der Heilsgeschichte eine wichtige Rolle: Es gibt keinen Sohn ohne die Mutter. Und es steht ihr auch ein wichtiger Platz hinsichtlich der Nachfolge Jesu in ihrem Leben zu. Maria ist auch unter dem Kreuz, auf dem Höhepunkt ihres Auftrags: „Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter“ (Joh 19, 26-27). Der Evangelist Johannes vertritt all jene, die eine liebende Beziehung zu Jesus haben und somit in Gemeinschaft (und Zusammengehörigkeit) mit Maria leben. Die Gegenwart Marias im Evangelium ist im Dienst der Mission des Sohnes. Es ist eine kostbare aber stille Gegenwart. Darum drückt sich auf der Romita die Verehrung der Madonna auf einfache und grundlegende Weise aus: Im Einklang mit der Architektur der Kirche und der Struktur des Chores, im Gesang des Magnifikat, des Ave Marias und des überlieferten Grußes von Franziskus: „Sei gegrüßt, Herrin, heilige Königin… Sei gegrüßt, du sein Palast. Sei gegrüßt, du sein Gezelt (sein Tabernakel). Sei gegrüßt, du seine Wohnung. Sei gegrüßt, du sein Gewand. Sei gegrüßt, du seine Magd. Sei gegrüßt, du seine Mutter“ (FF 259). In der Kirche dell‘ Annunziata überragt vor dem Altar in der Mitte das Abbild von Christus (Kreuz von San Damiano), rechts daneben eine Ikone von Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm und links daneben, etwas kleiner, das Franziskusbild von Cimabue. Das genügt, um unseren Geist zu erleuchten und unser Herz zu erwärmen.
Auszug aus La Romita: Utopia?, Frate Bernardino